So, fertig mit Aklimatisation, heute geht es nach Mindo und damit aus dem Hochland mal schlappe 1.000 Meter runter in die Nebelwälder. Nach einem Zwischenstop in einem Restaurant am Rand eines Vulkankraters und einer Suppe mit Blick über die von Wolkenumspielten Hänge geht es weiter Richtung Südwesten. Ja, ich bin am Steuer eines ungefähr 20 Jahre alten Chevrolet Troppers, der sich ohen Servolenkung und mit zahllosen Beulen und Kratzern ganz hervorragend in das Bild des Ecuadorianischen Verkehrs einfügt. Das chaotischen Fließen so hautnah am Steuer einer der Billardkugeln auf diesem gigantischen Carambol-Tisch zu erleben ist einzigartig und absolut empfehlenswert. Allerdings ist es vorteilhaft ein T-Shirt zum Wechseln dabei zu haben, denn das erste ist recht bald komplett durchgeschwitzt. Die Einzelheiten der etwa 2 stündigen Fahrt auf einer einspurigen Bundesstraße erspare ich uns beiden. Lediglich zwei Begriffe mögen erwähnt sein: Kurvenreich und Überholsichtweite. Der Rest ist Schweigen und Bremsbereitschaft.
In Mindo angekommen stolpern wir auf der Such nach unserem Hotel – Nein, wir haben natürlich nicht reserviert – mehr zufällig als beabsichtigt in einen Mirador um kurz vor Sonnenuntergang noch den Ausblick über das imposante Tal mit seinen zahlreichen Flüssen zu erleben. Du musst wissen, dass Mindo eine der artenreichsten Gegenden der Welt ist und deswegen das Mekka der Ornitologen in Südamerika. Mehr als 400 verschiedene Vogelarten tummeln sich um diese kleine vershclafene Stadt, die tatsächlich erst seit ein paar Jahren den Tourismus als Einnahmequelle für sich entdeckt hat. Wie weit der Weg noch ist, lässt sich an der Tatsache ablesen, dass es in der ganzen Stadt aufgrund fehlender Leitungen so gut wie keine Möglichkeit gibt mit Karte zu zahlen. Dem nicht genug, sind die 3 Geldautomaten, die es in Mindo gibt, seit 2 Wochen außer Betrieb.
Doch zurück zum Mirador, der gar keine Aussichtplattform alleine ist, sondern die durchaus unscheinbare Station eines etwa 5 Hektar großen Reservats, das von einem Vogelliebhaber erhalten wird und sich durch geführte Wanderungen zur Vogel– und Naturbeobachtung finanziert. Wir stolpern also zufällig in diese Station und können von dem Aussichtsturm auch einen wunderbaren Sonnenuntergang erleben – was für eine schöne Art anzukommen, in dieser so ganz anderen Welt als der Städtischen von gestern. Zurück auf der Empfangsebene bietet uns der freundliche Ecuadorianer einen Platz am Geländer mit Blick über das Tal und fragt ob wir vielleicht noch ein paar Minuten haben. Wir, immer noch auf der Suche nach einem Hotel und demnach etwas unter Druck wollen eigentlich verneinen und uns bedanken, aber das Leben meint es gut mit uns und wir lassen uns auf seine Einladung ein. Dem Himmel sei Dank.
Mit mehr als 120 Flügelschlägen pro Sekunde halten sich diese kleinen, wundervollen Kerlchen in der Luft. Es dauert keine Minute, bis der erste sich vorsichtig der kleinen Plastikschale in meiner Hand nähert, die mit Zuckersirup wohl eine beliebte Alternative zu den üblichen Blütensäften bietet. Ein unglaubliches Geschöpf, dessen wache Knopfaugen mich taxieren, während eine viel zu lange Zunge aus einem viel zu langen Schnabel den Zuckersirup aus der Schale schlürft. Das alles in der Luft stehend, mit einer Gelassenheit, mit der James Dean seine Zigaretten an der Wand gelehnt zu rauchen pflegte. Die Station ist bekannt für ihre Vielfalt an verschiedenen Kolibriarten, doch schon der erste stiehlt mir das Herz.
Was ist die Natur nicht wundervoll? Wir bleiben über eine halbe Stunde, bis es schließlich dunkel ist. Hingerissen und gebannt vom Schwirren und Schweben dieser kleinen Vorboten einer schon wieder völlig neuen Welt in die ich unbedingt eintauchen will. Mit der Dunkelheit verabschieden sich die Kolibris in die wohlverdiente Nachtruhe und wir buchen für den nächsten Tag eine Tour durch den nächtlichen Nebelwald.
https://youtu.be/icw0qBvnEq0
Im Einschlafen spüre ich eine tiefe Dankbarkeit für die Begegnung mit meinen neuen Freunden und eine erste dumpfe Wut über die Zerstörung ihres Lebensraums durch unsere unstillbare Gier nach mehr von allem.