Die Fahrt nach Süden dauert etwa 7 Stunden. In Banos essen wir Pad Thai und tauschen von einem komfortablen Kombi auf einen robusteren Pick Up. Im Normalfall dürfte die Fahrt nicht länger als 3 Stunden dauern, aber ein Erdrutsch hat die einzige Straße mitsamt Brücke weggerissen und so wird ein Umweg von 300 Kilometern notwendig um das Tiefland zu erreichen.
Die Fahrt führt uns einmal mehr durch fast alle denkbaren Vegetationszonen, die man sich vorstellen kann. Bis wir schließlich in Dunkelheit den Grund für den Autotausch erreichen.
Der Taxifahrer wird langsamer und schaltet die Warnblinkanlage ein. Nach zwei Wochen in Ecuadaor weiß ich, dass ist eher ein Zeichen für ein unmittelbar bevorstehendes völlig nicht zu erwartendes Verkehrsmanöver, als für eine Panne. Und ich behalte recht. Nachdem der ratternde und pfeifende LKW, den wir erst vor 200 Metern überholt haben, an uns vorbeiknattert, und damit scheinbar ausreichend Platz gegeben ist, verreist Carlos, so heißt unser Urwald Taxler, der der Sohn eines Schneiders ist und eigentlich Ingeneur studiert hat, den Lenker und überrascht mich ein zweites Mal, nachdem er keinen reifenquietschenden U-Turn hinlegt, sondern im rechten Winkel auf die Wand aus riesigem Bambus und weiß Gott noch was zuhält. Was du jemals im Urwald? Also um ehrlich zu sein, das hier ist ja kein „echter“ Urwald, wir Gioia mir immer wieder versichert. Es ist Sekundär-Wald. In den Primär-Wald, das ist der offenbar wirklich unberührte fahren wir morgen. Nun, mir Wiener Betonkind (Angesichts der grünen Fülle in die unser PickUp gerade eingetaucht ist, ist das seelige Strebersdorf mit seinen Weinüberwucherten Hängen an der Flanke des Bisambergs am Rand von Wien, eine Betonwüste) reicht erstmal der Sekundär-Wald. Auf der rumpeligen Fahrt durch das immer gleiche Schwarz in Mitten eines von Scheinwerfern erleuchteten unendlichen Grün, wird mir einmal mehr bewusst, welche Veränderungen, um nicht Zerstörung zu sagen, unser Komfort für die Natur bringt. Ein Schlagloch, wenn man es so nennen will, hebt mich aus dem Sitz und ich stoße mir den Kopf an der Decke des Wagens. Der Weg zu unser Unterkunft, die etwa 5 Kilometer tief im Urwald liegt, verdient den Namen Straße nur, weil nichts höher als etwa 15 cm auf ihm wachsen darf. Damit hat der PickUp keine gröberen Probleme im Schritttempo über die Bahn aus Orangen- bis Kokosnussgroßen Flusssteinen und Schlamm zu rumpeln. Wir passieren noch einen kleinen Fluss, an dem eine, mir auf den ersten Blick sympathische, Menschenhand lieber einen kleinen Staudamm aus Flusssteinen errichten hat um ein Schwimmbecken aufzustauen, als eine Brücke und etwa 10 Minuten später hält das Taxi im grünen Nichts.
Die Menschen in dieser Gegend haben sich vorgenommen den schwer gefährdeten Sekundär-Wald an den Ufern des Rio Napo zu bewahren und ein Reservat zu errichten in dem Mensch und Tier nach der Tradition der indigenen Urbevölkerung leben kann. Das intellektuelle, spirituelle und finanzielle Zentrum dieses Vorhabens ist Gioias Mutter, Maria Osthoff, die seit 8 Jahren gemeinsam mit einigen Anderen keine Mühen und Kosten scheut, um Hektarweise Land zu kaufen und damit vor der Abholzung zu bewahren. Während eine, meiner Ansicht nach riesige aber nach Ansicht aller anderen nicht beachtenswert große Spinne 2 Meter neben uns kunstvoll flink ihr Netz webt, höre ich mehr über das Problem der Abholzung des Urwald in Ecuador.
Es ist das immer gleiche, schreckliche Lied unter dessen Dieselmotorgetriebenen Bässen und Münzklirrenden Höhen wir unseren Planeten Stück für Stück vernichten. Ein Lied, das jeder schon mal gehört hat, viel aber nicht mehr tun als im Takt mit den Schultern zu zucken. Alles beginnt vor langer Zeit in einem noch nicht ganz vergessenen Gleichgewicht, dann kommt der Fortschritt mit seiner kleinen bösen Schwester Wachstum und dem Dicken Onkel, namens vermeintlichen Wohlstand. Da wollen dann alle mitmachen und das Gleichgewicht gerät ins Schwanken. Es entstehen komfortable Straßen, die zu Häusern führen, die Häuser brauchen Kanäle, die das Abwasser wegschaffen (wohin eigentlich?) und Strom, der die Dunkelheit vertreibt. Das alles kostet Geld und Platz. Dankeswerter Weise gibt es ja zahllose Abnehmer für uralte Mahagonibäume, die sich viel besser als Kolonial-Stilmöbel in Nordrheinwestfalen oder Oberösterreich machen als hier im Urwald. Und sind die 100 Jahre alten Bäume erstmal weg, dann ist auch Platz für begehrte Ernten wie Palmöl, Mandarinen, Bananen, Kokos usw. Auch hier finden sich immer wieder großindustrielle Abnehmer aus der anderen, der reichen Welt, die das Zeug Tonnenweise verwerten können um uns in unserer Wohlstandverwahrlosung immer weiter in den nahenden Überfluss-Ernährungstod zu mästen. Aber dazu ein anderes Mal, nachdem ich den Marathon gelaufen bin. Wenn keine Monokultur, das macht ja auch viel Arbeit, dann ist es noch einfacher, alles platt zu betonieren und ein gerade noch florierendes Biotop an die bestbietenden (was bestimmt immer noch ein Verbrecherpreis ist) Ölförderkonzern zu verkaufen. Mit dem Geld kann man sich dann in der nahegelegenen „Urwaldstadt“ ein kleines Häuschen in Reihe und Glied mit den anderen bauen und endlich nach „richtigen“ Maßstäben leben. Falls sich aus gegeben Anlass jemand Fragen sollte, warum gerade in unserer Zeit viele tausende Tierarten (die Menschen miteingeschlossen) in die Ballungsräume drängen und sich dort gegenseitig mit allen möglichen Krankheiten anstecken, dann ist die Zerstörung von Lebensräumen weltweit und damit die Einschränkung der Biodiversität Grund Nummer eins. Weltweit. Ohne Ausnahme.
So sitze ich da, am Rande des Amazons, und frage mich, wozu ich auf dieser Welt bin. Bisher habe ich meine Tage damit verbracht irgendwie dabei zu helfen Menschen am Theater zu unterhalten und vielleicht auch wachzurütteln. Der Amazonas, die grüne Lunge dieses Planeten, war mir wohl als Begriff und Prinzip mehr aber als Inspiration für Biogütesiegeln oder als Greenpeace-Plakat-Motiv bekannt. Soll ich mich jetzt umdrehen und wieder zurück in „meine“ Welt gehen. Die Tage, die ich hier verbringen darf genießen und dann im Herbst wieder mit dem SUV durch die Stadt brausen? Wissend, welchen Preis andere für meinen Komfort bezahlen müssen?
Die Spinne hat ihr Netz fertig und man kann förmlich den Speichel von ihrem (wirklich nicht kleinem) Maul tropfen sehen als sie sich reglos in der Mitte ihres tödlichen Kunstwerks postiert. Was für ein Wunder die Natur ist und wie wenig ich davon verstehe. Mit einer kleinen Hoffnung, dass die Spinne belohnt werden würde für ihre unbegreiflich schöne Mühe, ihr Opfer aber nicht Vater vieler hungriger Mäuler sein möge, frage ich mich, wer in diesem Spiel eigentlich das Recht hat zu leben? Die Spinne, der Falter, oder ich?
Liebe Grüße aus der „Betonwüste“ 😉
Danke, dass Ihr uns an Eurem Abenteuer teilhaben lässt!!
Genießt es!!!
die spinne, der falter und du…😌