In Doha am Flughafen gibt es einen “Transfertrain”, der genauso aussieht wie ein Shuttle aus dem Raumschiff Enterprise. (“Star Trek” um niemanden zu beleidigen). Das und die Tatsache, dass Burger King dort keine vegetarischen Burger anbietet, waren die größten Überraschungen auf der ersten (halben) Etappe unserer Reise. Der “Train” ist eine Magnetschwebebahn, die autonom zwischen den Terminals A und D auf einer Strecke von fünfhundert Metern hin und her rauscht. Die Fahrt ist tatsächlich zu kurz um sich währenddessen der vollen Sinnlosigkeit dieser Einrichtung klar zu werden. Nachdem wir aber drei Stunden Zeit hatten, bevor unser Flieger nach Sri Lanka abheben würde, bin ich solange hin und her gefahren, bis ich mir ganz sicher war. In der Mitte der riesigen Abflughalle, auf etwa acht Meter hohen Stelzen, verlaufen die futuristisch verkleideten Gleise.



Die beiden Shuttles surren führerlos Mal in die eine, dann in die andere Richtung. Kaum sind sie bei einem Terminal angekommen, ändern sie die Richtung und zischen die fünfhundert Meter wieder zurück. 40 Sekunden, entlang endloser Reihen bunter Ledersessel, die in menschenleeren Gates auf Passagiere warten. Noch ist ja nicht Weltmeisterschaft in Doha, da darf ein nächtlicher Flughafen auch mal gähnen vor Leere. Dann öffnen sich zischend die Türen und nach einer kurzen Wartezeit kündigt eine Männer-Stimme auf arabisch und dann eine Frauenstimme auf Englisch die Abfahrt an. Für die Terminals E und F gibt es auch schon Stationen, aber der Zug fährt nicht soweit. Zumindest mich nicht. Vielleicht erst, wenn die mächtige Flughafen-Halle ganz fertig gebaut ist und Fussballfans aus aller Herren Länder in die Wüste pilgern? Die Streckenverkürzung ist insofern schade, als dass sich die Hochbahn-Gleise nach Terminal D teilen und in verschiedene Richtungen weiter verlaufen, eine Kurve im Shuttle wäre schon aufregend gewesen. Aber für diese Nacht bleibt mir nur die Sehnsucht nach der wild-romantischen Dunkelheit des Eisenbahntunnels am Ende der Science-Fiction Halle.
Man sieht sich im Leben immer zweimal
Sag ich mir und dem Zug und steig aus. Gioia ist schon weiter in die Welt des Terminal D vorgedrungen und bei einer gigantischen Holzskulptur, die aussieht wie ein trauriger Comic Clown der sich die Hose von Mickey Mouse geliehen hat. Ein Mahnmal für gerechte Arbeitsbedingungen auf der Welt, wie uns das kleine Hinweisschild an der Seite erzählt. Für Doha sehr passend, wie ich finde und damit bin ich offenbar nicht alleine, denn die Skulptur wurde erst kürzlich dem MuMoK in London abgekauft und hier aufgestellt.
K. aus St.Pöten reist mit uns. Während ich fieberhaft versuche meine Ayurveda-Torschluss-Panik unter einem Berg von Onionrings, Mozarellasticks, Chilli-Cheeseballs und French Fries zu begraben (hab ich schon gesagt, dass es keine vegetarischen Burger bei Burger King in Quatar gibt), trinkt sie ein stilles Wasser und erzählt davon, dass sie am Weg nach Namibia ist um dort fünf Wochen in einer Wildtierstation zu voluntieren. Als wir am Weg zum Gate auf der Abflugtafel nach unseren Flügen suchen, kann ich die Hälfte der Destinationen keinem Fleck auf einer Karte zuordnen. K will nach Windhoek, wir wollen nach Colombo. Zum Glück steht da noch irgendwo London und Bangkok, sonst wäre es zu peinlich. Peter Turrini hat mir mal von seinem Flugroulette erzählt und eigentlich fände ich das hier ganz aufregend! Flugroulette geht so: Man fährt zu einem beliebigen Flughafen, idealerweise zu dem, der dem eigenen Wohnsitz am nächsten liegt. Dort angekommen, geht man in die Ankunftshalle und sucht nach dem ersten Flug, dessen “Approaching-Punkte” blinken. Dann kauft man sich ein Ticket für den Abflugsort und dort angekommen, geht man wieder zur Tafel in der Ankunftshalle, und so weiter…
Wie spät ist es eigentlich?




Wir sind um 16:30 Uhr in Wien gestartet. Obwohl in Schwechat wirklich alles Rappel voll von Menschen war, hatten wir nach zwanzig Minuten den Gepäck Drop-Off und die Sicherheitskontrolle hinter uns gelassen und saßen in einem der Flughafen Restaurants. Gioia hat Recht behalten…
Eigentlich wollte ich vor 12:00 Uhr los, wir waren aber eine gute halbe Stunde zu spät und wir hätten locker noch eine Stunde später losfahren können! Gott sei Dank sind wir erst kurz nach zwei aus dem CAT ausgestiegen, denn so sind wir nur zweieinhalb Stunden am Flughafen gesessen.
Ich habe mir vorgenommen, in Zukunft kein Flughafen-Schisser mehr zu sein und die Wartezeit dann produktiv genutzt: zwei große Ottakringer getrunken und mir den ersten Nackenpolster meines Lebens gekauft. Am Flug nach Doha gab es Matrix Ressurrection im kleinen Bildschirm vor mir. Der endgültige Beweis, das man wirklich aus allem ein Hollywood Drehbuch zusammenschustern kann. Die Handlung ist so verworren und hanebüchen, dass ich nach wenigen Minuten eingeschlafen bin und mit sabbernden Backen auf meinem Nackenpolster gestützt davon geträumt habe selber mal Drehbücher zu schreiben. Als die Stewardess mich mit einem vegetarischen Curry weckte, schmuste Neo gerade Trinity, während sie eigentlich gegen einen erdrückende Übermacht von Bots kämpften. Dafür, dass in meinem Matrix (Reloaded?) Verständnis beide tot sein müssten, haben sie sich gut gehalten. In Doha ist es dunkel.
Die Uhrzeit auf der Abflugtafel erscheint mir ebenso surreal, wie die unzähligen Orte an die ich von hier aus fliegen könnte. Ich krame mein Handy hervor. Es ist nach zehn Uhr. Um halb zwei geht der Flieger nach Colombo. Laut Plan haben wir fast vier Stunden Aufenthalt. Die Zeiger auf der Abflugtafel neigen sich gegen Mitternacht.
Es ist daheim schon eine komische Sache mit der Zeit und wie sie vergeht aber auf Reisen scheint es noch komplexer. Ich lasse das Telefon in die Hosentasche gleiten, verschiebe alle Überlegungen zur Relativität der Zeit auf später und halte nach einem Coffee Shop Ausschau um meinen Heisshunger auf Café Latte und Cookies zu stillen. Vergeblich. So bleibt mir nichts als mit der Gier des Verzweifelten das letzte Stück Topfenstrudl zu verschlingen, dass ich gemeinsam mit einer Tafel Schokolade und Gummibärchen vor dem Abflug gekauft haben. Damit sind meine Zuckervorräte aufgebraucht. Außer bunten Ledersesseln gibt es hier nur das Surren der Magnetschwebebahn über unseren Köpfen und die Budl vom Gate, hinter der sich zwei Damen und drei Herr in den Uniformen des Bodenpersonals von Quatar Airlines drängeln. K. erzählt von ihrem Job zu Hause. Wir tauschen Nummern aus und freuen uns über unsere erste Weltreisen-Bekanntschaft. Ich greife nach dem Handy in meiner Tasche um Nachrichten zu checken und entdecke jetzt erst, dass ich immer noch im Flugmodus bin. Das erklärt zumindest die Zeitverschiebung zwischen dem Handy und der Abflugtafel. Ich widerstehe dem Drang, das kleine Flugzeug auf dem Bildschirm zu deaktivieren und es macht sich unmittelbar darauf ein ganz winziges Gefühl von Freiheit in mir breit. Ich muss nicht mehr erreichbar sein. “Aber was, wenn…” denke ich und noch ehe ich zu Ende gedacht habe, wird mir klar, dass ich nicht erreichbar sein muss. Erster Schweissausbruch. Ich wische routiniert den Homebildschirm zu Seite und öffne meinen Kalender.
“No more events today.”
Ich wische weiter.
Morgen.
“No more events today.”
Übermorgen.
“No more events today.”
Kommende Woche.
“No more events today.”
Zweiter Schweissausbruch.
K. verabschiedet sich, nachdem die Anzeigentafel mit einem leisen Ping die Gate-Info für ihren Flug nach Windhoek ausgespuckt hat. Sie boarded um ein Uhr früh auf Gate E. Es ist kurz nach zwölf.
“Kommt mich doch mal Besuchen in Namibia oder auch in St.Pölten. Wenn ihr Zeit und Lust habt.” sagt K. zum Abschied und als die Endlosigkeit der leeren Ledersessel ihre Silhouette verschlingt da steigt die Erkenntnis in mir auf.
Wir werden für alles was wir tun, alle Zeit der Welt haben.



Hinter der Budl kommt Unruhe auf. Eine Dame in Quatar Airlines Uniform macht eine Lautsprecherdurchsage und ein Herr läuft zur nächsten Bude am nächsten Gate, um kurz darauf mit einem Packen Zettel zurückzukehren.
Dann geht er hinaus durch die gläserne Schiebetüre um dem wild gestikulierenden Busfahrer, der dort schon wartet, mit ebenso wilden Gesten den Packen Zettel in die Hand zu drücken. Die Unruhe setzt sich unter den Passagieren fort und wie auf ein stummes Signal stehen die Menschen auf und bilden zwei Schlangen um die Budl und das Bodenpersonal. Mit einer Mischung aus Pflichtbewusstsein und Todesmut versucht der Herr, der den Busfahrer gerade weggeschickt hat nun, mit einem “Priority & Business Passengers” Schild in der Hand, die Menschen in der eine Schlange davon zu überzeugen, dass sie für die Seite der Budl die sie gewählt haben, den falschen Status haben. Jetzt wiederholt die Dame in Quatar Airlines Uniform ihre Lautsprecheransage auf englisch und bittet alle Passagiere darum sitzen zu bleiben, bis der Boarding Prozess beginnt und dann in den Gruppen 1 bis 4 laut Boardingpass zum Boarding zu kommen. Als sie ihre Durchsage beendet und die beiden Menschenschlangen sie daraufhin regungslos anstarren, wiederholt sie die Durchsage noch mal auf arabisch. Stille. Niemand bewegt sich aus der Schlange, ein einzelner alter Mann steht von seinem bunten Ledersessel auf und wackelt tapsig Richtung Budl. Die Fassungslosigkeit der Dame in Uniform über den Ungehorsam der Passagiere lässt sie ihren Finger auf dem Knopf des Mikrofons vergessen und ihre Sprachlosigkeit hallt als sanftes Rauschen über die Lautsprecheranlage. Dann ein Knacken als sie loslässt und dann die magische Stille der Ungewissheit.
Diese Stille soll es sein, die uns auf unserer Reise begleitet.
Wir werden offen blieben für die Schönheit der Welt und alle ihre Wunder und Überraschungen. Wir werden dem Leben eine Chance geben sich zu entfalten und uns führen. Wir werden die Stille suchen um Raum zu schaffen für Neues, Unbekanntes, Ungeahntes.
Die Stimme der Dame in Uniform reisst mich aus dem Gedanken. Der Boarding Prozess hat begonnen. Es ist kurz vor ein Uhr früh.
Der Flug startete mit neunzig Minuten Verspätung aber das hab ich mit meinem Nackenpolster um den Hals und an Gioia gelehnt in der viel zu engen Quatar Airlines Sitzreihe verschlafen.
Ob K. mit dem Zug durch die Tunneldunkelheit zu Terminal E gefahren ist?
👍👍👍… freue mich schon auf Fortsetzungen …
…die ist schon unterwegs!
👍
Neugierig auf Eure Sicht der Lage in Sri Lanka!
Ganz liebe Grüße und weiterhin Entspannung mit Ayurveda, Evelyn
Liebe Evelyn, es ist sehr aufregend aber auch wunderschön hier! Angeblich gibt es morgen wieder Benzin für alle! Wir halten dich auf dem laufenden 🙏🏻