Das erste Rütteln an meiner Schulter galt nur der Kontrolle meines Sicherheitsgurts. Das Zweite den Erfrischungen die angeboten werden sollten, das dritte Mal hat der Steward mich aus dem Schlaf gerissen, weil es ein vegetarisches Curry mit Karfiol und ein paar Fruchthäppchen gab. Ich habe meine Portion im Halbschlaf gelöffelt und Gioias gleich mit. Sie saß am Fenster und war demnach außerhalb der sehr kurzen Rüttel-Reichweite des asiatischen Stewards. Das nächste Rütteln riss dann aber auch sie aus dem Schlaf, als der Flieger buchstäblich auf dem Flugfeld einschlug und alle Passagiere aus den Sitzen hob. Der Rest unserer ersten Schritte auf Weltreise ist schnell erzählt. Passkontrolle, Gepäckband ohne Komplikationen (DANKE!), dann hinaus in die Ankunftshalle.



Neben der Wechselstube eine Spar Filiale, mit der ich wirklich nicht gerechnet hatte, auf der anderen Seite eine winkende Menschenmenge mit Schildern in der Hand. Unser Fahrer war nach ein paar Augenblicken ausgemacht und kurz darauf standen wir in tropischer Sonne vor dem Flughafen und warteten darauf, dass er das Auto vorfuhr.
Welcome to Sri Lanka
Hinein in den Toyota Bus. Der Verkehr in Sri Lanka ist wie der in Südamerika nur auf der linken Seite. Es ist wenig los, betonte der Fahrer als er ohne Bremsen oder Blinken in einen Kreisverkehr einbog und damit drei der typischen asiatischen Motor-Dreiräder unter lautem Hupen aus ihrer Spur jagte. Zwanzig Minuten und drei lebensgefährliche Manöver später kamen wir im Hotel an. Das Gepäck wird aufs Zimmer gebracht.
“No Problem Sir.”
Wir werden an die Rezeption geführt.
“Very Welcome Madame, good Morning Sir.”
Die quietsch gelben Bananen auf meinem T-Shirt fühlen sich nicht nach “Sir” an, aber das scheint die singhalesische Dame in Sari mir gegenüber nicht weiter zu stören, als sie uns mit einem breiten Lächeln die Zimmerkarten in die Hand drückt.
Das Zimmer ist schön, vor der Fensterfront wehen Palmen dahinter die Hochhäuser von Colombo. Wir gehen duschen und fallen ins Bett. Keiner weiß genau wie spät es ist, aber in zwei Stunden gibt es essen. Das darf ich nicht verpassen, morgen geht die Ayurveda Kur los und ich weiß nicht, wann ich wieder was bekomme.
Ich träume kurz aber intensiv von einem Käsebrot.
Am Mittagsbuffet, das man als absurd bezeichnen kann, gibt es tatsächlich jedes Gericht, das man bei Mjam bestellen kann. Nach ein paar Häppchen Sushi, Salat, Pasta, Curry, Pizza verliere ich das Bewusstsein zwischen Mouse au Chocolat, Sachertorte (!!!) und einer Creme Bruleé.
Doch dann holt mich mein Schicksal im Konsultation Room No. 664 ein.
Hinter einem breiten Tisch mit einer schneeweißen Tischdecke und einem schlichten Blumengesteck sitzt sie, in einem schlichten aber so schönen Sari, das er von Engelshand geschneidert sein musste. Wäre Gott eine Ayurveda Ärztin, dann wäre das meine Anhörung vor dem jüngste Gericht. Frau Dr. D. ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet und daran lässt sie auch keinen Zweifel. Ein paar graue Strähnen fallen in das ebenmäßige und faltenfreie Gesicht. Die Brille auf der Spitze einer zierlichen Nase, die zur Hälfte von einer viel zu großen Maske bedeckt ist. Ihr Lächeln ist so breit, dass die Maske von der Nase rutscht und ihre tief dunklen Augen erstrahlen dabei voller Weisheit und Güte. Eine zweite Ärztin, Frau Dr. K. horcht mich ab, untersucht meinen Bauch, meine Zunge, meine Augen. Dann stellen sie mich auf eine Waage (Oje!), messen Blutdruck und Puls. Nach einer kurzen Unterredung zwischen den beiden auf Singhalesisch, lässt das Lächeln meiner weisen aber erbarmungslosen Richterin die Maske wieder unter die Nase rutschen. Ihr Urteil ist ebenso hart wie zutreffend: egal was es ist, ich mache zu viel davon. Ich lebe in Extremen und das ist nicht gesund. Weder in ayurvedischer noch in westlicher Medizin. Die Kur im Hochland wird mich ins Gleichgewicht bringen, das verspricht sie und lächelt. Es klingt ein bisschen wie eine Drohung.
Beim Nachmittagskaffee lasse ich schuldbewusst den Kuchen aus und knabbere nur ein paar Cookies. Ich fühle mich auf eine eigenartige Art und Weise durchschaut. Der durchdringend gütige Blick der Ärztin geht mir nicht aus dem Kopf und in jedem Lächeln um mich herum glaube ich sie wieder zu erkennen. Wir beschließen einen kleinen Spaziergang vor dem Abendessen zu machen und wagen uns raus aus dem Hotel.
Auf Sri Lanka kommen die Autos von rechts.
Mit einem beherzten Sprung können wir uns noch vor dem uralten roten Linienbus retten, der uns fast überfährt während wir nach links schauen ob Autos kommen. Die österreichische Verkehrserziehung mit Helmi wurde also falsifiziert und wir lernen schnell, dass wir zuerst nach rechts und dann nach links sehen, wenn wir über die Straße gehen. Nach ein paar Schritten spricht uns ein sehr gut angezogener Mann an, ob wir auf dem Weg zum Tempel wären. Wir, voller Neugier und Entdeckungslust, erzählen, dass wir Touristen wären und gerade erst angekommen. Im Nachhinein scheint es mir durchaus möglich, dass er das schon geahnt hatte, dass wir keine Einheimischen waren. Immerhin sind wir beide zumindest einen Kopf größer als alle anderen und aufgrund von Hautfarbe und Outfit leicht von den Locals zu unterscheiden.




Er liebe Österreich und den Wiener Walzer, erzählt er nachdem er gefragt hatte woher wir kommen. Er selbst sei aus einem Vorort von Colombo, arbeitet aber in Dubai und wäre nur übers Wochenende hier zu Besuch bei der Familie. Wir mögen doch mit Ihm den buddhistischen Tempel besuchen, denn dort ist heute ein ganz besonderes Fest. Man würde die “most iconic” Haar-Reliquie des Buddha selbst ausstellen und tausende Pilger wären aus diesem Anlass heute nach Colombo gekommen. Gioias Augen strahlen, die des Unbekannten auch. Voller Entdeckermut quieke ich ein “Okay”, woraufhin er zwei Schritt an die nächste Straßenecke macht und in den Verkehr winkt. Mit quietschenden Bremsen schleift sich ein TukTuk ein und unser neuer Freund wechselt ein paar Worte mit dem Fahrer. Noch bevor ich mich frage, wie er mit uns zu dritt in einem Tuk Tuk hätte fahren wollen, greift er sich an die goldene Uhr und setzt eine besorgte Miene auf. Er hätte gerade bemerkt, wie spät es ist und habe nun doch keine Zeit für den Tempel, wünsche uns aber viel Glück und Segen.
No Problem, Sir!
sagt der Fahrer als er mein besorgtes Gesicht sieht und legt mit einem lauten Krachen einen Gang ein. Der Tempel ist nur ums Eck beteuert er und fährt uns daraufhin fünfzehn Minuten durch die Stadt. Vorbei an endlosen Schlangen von Fahrzeugen vor Tankstellen, vorbei am zentralen Protestcamp vor dem Präsidentenpalast und vorbei an einer neuen, exotischen und wunderbaren Welt, die trotz der spür- und sichtbaren Schwierigkeiten voller freundlicher, herzlicher und lächelnder Menschen ist. Ja, natürlich sind wir der TukTuk Mafia ins Netz gegangen und natürlich sind wir nach dem Tempel in einem Schmuckladen gelandet, der uns den angeblich besten Preis der Stadt für mittelmäßige Edelsteine geboten hat.
Zumindest konnten der Empfehlung des Fahrers zum besten Bier und den besten Restaurants der Stadt im letzten Moment noch entkommen. Zurück vor dem Hotel traf unseren Entführer die Realität unserer verfügbaren Barmittel mit voller Härte. Hatte er doch vielversprechende Euros oder mindestens US – Dollars erwartet und davon nicht zu knapp, hatten wir beim Losgehen nur einen Spaziergang im Sinn und deswegen nur eine Hand voll Bargeld und keine Karten dabei. Auf jeden Fall zu wenig für ihn oder seine Lohnvorstellungen. Mit der rettenden Ausflucht, das Geld vom Zimmer holen zu wollen, können wir schließlich den Fängen der TukTuk Mafia entgehen und uns beratend zurückziehen. Alleine kehre ich 10 Minuten später mit einer fairen Summe nach europäischen Maßstäben und damit einem kleinen Vermögen (laut dem Rezeptionisten, den ich um Rat gefragt habe) für singhalesische Verhältnisse zu unserem Entführer zurück. Er nimmt das Geld mit einem herzzerreissenden Augenaufschlag entgegen und verabschiedet sich mit einem “No Problem Sir!” als ich ihn frage ob er weiß, dass das Hotel und die Polizei Touristen wie mich vor Fahrern wie ihm warnen. Wir lächeln einander an und er knattert lachend davon.
Gangaramaya Tempel
Der Gangaramaya Tempel in Colombo ist einer der größten und einflussreichsten Tempel auf Sri Lanka und beherbergt eine Haarsträhne des Siddharta Gautama. Das große Fest, dass uns der freundliche Passant versprochen hat blieb an diesem Abend zwar aus, aber dafür haben wir diesen einzigartigen Gebäudekomplex mit all seinen Räumen, Schreinen, Statuen, Musikanten, Mönchen und sogar ein paar Gläubigen nur für uns erleben dürfen. Haben Blüten vor unzählige Buddha Statuten gelegt und drei Runden um den Bodhi-Baum gemacht. Achja, das große Fest gibt es tatsächlich. Es ist zwar in Kandy und nicht in Colombo und es geht dabei nicht um die Haare sondern um die Zähne des Buddhas aber umso größer ist jetzt die Vorfreude auf das Esala Perehera im August. Da gibt es auch Elefanten, die mit LEDs geschmückt sind.






Du sollst dir kein Bildnis machen von Gott
Nach einem Leben im christianisierten Gebiet ist es schon eine verblüffende Erfahrung über den religiösen Tellerrand zu schauen. Einmal mehr wird mir bewusst, wie klein meine Welt bisher war und wie wenig ich von der Großen kenne. Mit einem Armband aus bunten Fäden ums Handgelenk sitze ich beim Abendessen und knabbere an meinen Hoppers, einer srilankanischen Spezialität. Morgen früh geht es los ins Hochland und hinein ins Abenteuer Ayurveda. Soviele Schauergeschichten man darüber gehört hat, so groß ist auch die Neugier. Zur Sicherheit bestelle ich noch ein Bier, man weiß ja nie, wann man das nächste bekommt. Ein Leben lang habe ich an unseren Göttern in weiß gezweifelt und mich eher fern von ihren Lehren gehalten. Mal sehen, ob es den beiden Göttinen im Sari gelingt so etwas wie eine Balance in mich und mein Leben zu bekommen.
Eine Freude deine Geschichten zu lesen!
… wie immer … sehr erfrischend und fesselnd ….weiter so …👍👍👍👍
Sehr erfrischend geschrieben, man liest gespannt weiter und wartet nun ebenso gespannt auf die Fortsetzung 🤗 Weiter so!
Das freut mich, ja die Fortsetzung ist schon im Werden. Wolkenmädchen und kahle Kindsköpfe
Wolkenmädchen… Erinnere mich… Der Tigerfelsen – Wunderschön. Gott, fast dreißig Jahre her, dass ich auf Sri Lanka war. Unvergessen. Lieben Gruß und weiter so.