Die Buddhisten sind überzeugt, dass alles Leben am Ende doch nur Leid bedeutet. Wir sind also von unserem ersten Atemzug und vielleicht schon davor dazu verdammt, zu leben und deswegen zu leiden: Hunger, Durst, Existenzangst, Ehrgeiz, Habgier oder einfach nur Heuschnupfen. Wenn dann (endlich) unser Ende naht, erleiden wir Todesangst erst recht alles zu verlieren wofür wir ein Leben lang gekämpft und gelitten haben. Während der fromme Christ um seinen Körper und damit alles irdische erleichtert ins Himmelreich einzieht, hat der Buddhist bereits kapiert, dass auch ein Leben als Deva, also als himmlisches Wesen trotz annähernder Unsterblichkeit und den mit dem Halbgöttertum verbundenen Annehmlichkeiten kein Zuckerschlecken ist.
Neid, Missgunst und Intrigen sind in buddhistischen Himmelsspähren mindestens so üblich wie im Wiener Theater und damit geht das Leiden nur weiter. Für schlechte Christen sieht die Zukunft nach dem Tod bekanntermaßen nicht sehr rosig aus, für schlechte Buddhisten hingegen ist die Aussicht nicht nur höllisch. Auf dem Weg ins Naraka, die Unterwelt, in der die Niraya, die Höllenwesen, in endloser Kälte oder Hitze hausen, gibt es je nach Karma-Kontostand eine Vielzahl von Abzweigungen. Eine Wiedergeburt als Wiener Privatschüler scheint also nicht die schlechteste Option gewesen zu sein. Doch wo man auch landet, das Leiden hört nie auf. Vom pulsierend heißen Gedränge des Geburtskanals bis zur kalten und einsamen Dunkelheit des Sargs. Der einzige Ausweg aus diesem Teufelskreis ist sich vom Samsara zu befreien. Auf Wienerisch heisst das soviel wie erstmal “Owe vom Gas” und dann “Scheiß die net an”! Für den Fortgeschrittenen Dhamma Schüler aus Ottakring liegt die Wahrheit wohl in der Nähe von “Wird schon pass’n”. So oder so fühlt sich die Wiener Seele dem Nirvana auf Anhieb und auch ohne fünf Spritzer recht nah.

Ayurveda ist mehr als 21 Tage kein Kaffee,
kein Internet, kein Zucker, kein Alkohol und keine sonstigen leiblichen Genüsse. Die ersten Tage nur Suppe, dann Fastenkur mit Reis und Curry. Selten in meinem Leben habe ich so gut gegessen und mich dabei so gut gefühlt. Dazu Ölgüsse, Kräuterbäder, Massagen und heiße Kräuterstempel. Zwei Behandlungen am Tag dazwischen Ruhen, Yoga und Meditationen. 3 Wochen habe ich die Verantwortung über meinen Körper und alles was rein oder rauskam an die liebevollen und fürsorglichen Hände meiner Ayurveda Therapeuten abgegeben. Frau Dr. K., die die Pancha Karma Kur als Ärztin begleitet hat, lächelt bei unserer Abschlusskonsultation. Ihr Versprechen, mich wieder (oder erstmals) ins Lot zu bekommen und von Extremen fernzuhalten hat sie hier im Hochland wahr werden lassen. Meine Cholesterin Werte sind gemeinsam mit dem Zeiger auf der Waage in den Bereich von “akzeptabel” zurück gefallen und mein Rücken fühlt sich so an wie noch nie.



Auf meine besorgte Rückfrage nach den hängenden Schultern und der unerwarteten Beweglichkeit meiner Hüften – ich kann zum ersten Mal im Leben im Schneidersitz sitzen – meinte Fr. Dr. K., dass sich “entspannt sein” so anfühlt. Naja, wenn die Göttin in Sari das sagt, dann bin jetzt halt entspannt. Viel mehr will ich an dieser Stelle über Ayurveda auch nicht erzählen, denn ich bin überzeugt, dass man diese uralte Weisheit und ihren Zauber nur am eigenen Körper erleben kann. Jeder Versuch einer Beschreibung würde unendlich weit hinter der Tiefe der Erfahrung zurückbleiben und so versuche ich es erst gar nicht. 21 Tage im Paradies und mit jedem Tag empfand ich mehr Zuneigung für einen der Gäste, der mir bis zum Abschluss der Kur ganz besonders ans Herz gewachsen ist. Mich selbst!
Durch die fürsorgliche und liebevolle Art mit der die Menschen hier die Tiere, die Natur und die Welt um sich herum behandeln, habe ich einen ungeahnten Zugang zu mir selbst und einen neuen Blick auf die Welt geschenkt bekommen.
Des echten Künstlers Lehre schließt den Sinn auf; denn wo die Worte fehlen, spricht die Tat.
Ob der buddhistische Geist der Entsagung als ultimatives Heilmittel gegen die Anhaftung an allem Weltlichen dem entspricht, was der Johann Wolfgang sich überlegt hat, kann ich nicht sagen, aber es ist allemal interessant, dass der alte Herr aus Weimar sein Leben als Minister am Hof auf Eis gelegt hat, um zwei Jahre lang zu reisen. Die Ausflüge unserer Ayurveda-Reisegruppe, die in der letzten Woche der Kur eine langsame Gewöhnung an die Realität waren, gaben einen ersten Eindruck davon, was Gioia und mich in den nächsten Wochen und Monaten erwarten würde.



Der große Hindu-Tempel in Bandarawela genauso wie die Besetzung des hohen Priesters dort ist einfach Hollywood reif. Die wilde Romantik der ceylonesischen Eisenbahn, die sich auf abenteuerlichen Viadukten durchs Hochland schlängelt, vollgestopft mit geduldig lächelnden Einheimischen, die stehend Bahn fahren, weil sie keinen Sprit und keinen Sitzplatz bekommen und Herden von Touristen, die trotz der reservierten Sitzplätze in der ersten Klasse ganz freiwillig aus der Türe hängen um das immer gleiche Bild für Instagram zu schießen. Besonders berührend ein altes Ehepaar in der Teefabrik, die seit Monaten die Produktion eingestellt hat, weil der Strom fehlt. So finden wir uns plötzlich beim Abschieds-Abendessen wieder und der Traum wird war: noch einmal Schlafen und dann sind wir Reisende. Welt-Reisende. Morgen früh steigen wir nicht in den Bus zurück nach Hauses, sondern fahren weiter. Wir haben die wiener Welt zurückgelassen um Platz zu schaffen für die weite Welt.
Aller Anfang ist heiter, die Schwelle ist der Platz der Erwartung.
Die Rucksäcke voll von Jahrtausende alten Weisheiten, die wir in dieser Kur zu Gewohnheiten haben werde lassen können, ziehen wir los. Die zweihundert Kilometer lange Fahrt nach Sigiryia dauert 5 Stunden. Das entspannte Lächeln auf unseren Gesichtern vergeht nur für eine Sekunde, als uns ein Hund vors Auto springt. Gewohnheiten und Routinen, so sagten die Göttinnen im Sari, würden mir Halt geben und meine Doshas in Balance halten. Meditation ist im Ranking die Nummer zwei nach Yoga und vor Nummer Drei: regelmäßigen Essenszeiten. Täglich mehrfach meditieren und wenn es nur 10 Minuten sind lautet die Anweisung von Fr. Dr. D hinter der zu großen Maske. Für die, die mich kennen, wohl ein unfassbarer Gedanke: Der Billy sitzt still da und sagt mal nichts. Ich selber habe es erst auch nicht glauben können, denn mein Leben lang bin ich davon ausgegangen, ich müsste mindestens tot sein, um wirklich zu Ruhe kommen zu können. Aber falsch gedacht, denn da ist eine verlockend unbekannte Seite in mir, die ich in der quirrlig-ulkigen Hektik meines Billy-Seins bisher wohl einfach übersehen habe. Vielleicht ist also doch etwas an der Entsagung dran und ein lautes und aufdringliches Stück von mir musste für einen Moment sterben um überhaupt erst Raum zu schaffen für den Rest von mir? Morgens nach dem Aufstehen und vor dem Yoga und abends nach dem Yoga und vor dem Schlafengehen. Was Meditation bringt? Nichts. Aber vielleicht ist das auch genau die Aufgabe für einen wohlstandsverwahrlosten Workaholic. Sich einfach ein wenig ans “Nichts” zu gewöhnen. Nichts tippen, nichts tun, nichts sagen, nichts planen, nichts denken. Nichts sein außer das, was man eben so ist morgens um 6:45 Uhr.
(Danke an Johann Wolfgang von Goethe für seine Inspiration und den Titelraub.)
Gute Wanderschaft!
Lang nicht mehr beim lesen so köstlichst amüsiert:)
… Billy auf neuen Wegen …da ist ja die Hummel beobachten oder dem Frosch zuzuschauen erst der Anfang …. toll geschrieben 👍👍👍👍
Nichts tun außer das Leben zur Abwechslung mal „nur“ genießen – Zeit is worden 😉 <3