Mein Aufstieg war steil und ich hab mir wenig Zeit gelassen um nach oben zu kommen. Allabendlich sind mir andere begegnet, die sich auf den gleichen Weg gemacht haben und allmorgendlich waren es weniger die mit mir weiter hoch gestiegen sind. Immer freundlich frech, immer bemüht und immer mit einem lässigen Spruch auf den Lippen, hab ich sie hinter mir zurück gelassen. Man will doch nicht brutaler sein, als es der Weg von alleine schon ist und mit ein wenig Humor tut der Abschied auch gar nicht so arg weh. Zumindest dann, wenn man der ist, für den es weiter geht. Je höher du steigst, desto dünner wird die Luft. Und mit der Luft werden nicht nur die Wege immer dünner sondern auch die Menschlichkeiten. Unbeirrt setze ich einen Fuß vor den anderen und werde auch immer dünner und grauer. No Pain, No Gain. Du machst weiter. Tag für Tag, Schritt für Schritt.




Auf den Sommer folgt ein unendlich schweißtreibender Herbst und ein eiskalter Winter. Ich gehe im Dunkeln los und komme im Dunkeln an. Über Wiesen, Wälder, Hängebrücken, Stock und Stein, durch Dschungel und schließlich auch noch Eis und Schnee geht mein Weg, der schöner ist als ich es mir jemals hätte ausmalen können.
Vavken, Sie werden eine große Karriere machen, das verspreche ich Ihnen.
Sagte mir einmal((Prof.) Heribert)Sasse, der ohne jeden Zweifel die Zündkapsel an meinem Anfang war. Dann machte er eine kurze aber sehr dramatische Pause und sah mir mit seinem unvergleichlich durchdringenden Blick mitten in die Seele. “Nicht weil sie so gut sind, sondern weil die anderen so schlecht sind.” Dann grinste er und nahm noch einen Schluck Rotwein. Eines Tages, gerade wollte ich ihn zum Essen einladen, war auch er plötzlich nicht mehr da. Auch er ist auf dem Weg geblieben.



Dort oben auf dem Pass ist in den letzten Tagen ungewöhnlich viel Schnee gefallen. Während wir uns unseren Weg durch die endlose weiße Ebene bahnen, gehen an den Steilhängen Lawinen ab. Wir kämpfen uns eine Anhöhe hinauf, von der ich denke, dass sie die Letzte vor dem Ziel sein könnte. Allerdings hatte ich das über die letzten fünf auch schon gedacht. Wann ist man oben? Heute ist „oben“ am 5.150 Meter hohen Larkey Pass, zwischen Manaslu und Annapurna. Hier am Höhepunkt unserer zehn tägigen Wanderung und dem höchsten Punkt, den ich bisher in meinem Leben erreicht haben werde, liegen sich der achthöchste Berg der Welt und das Gebirgsmassiv des zweithöchsten Berges der Welt in den Armen. Ich habe alles gegeben um an diesen Punkt zu kommen.
Das überwältigende Bergpanorama von achttausend Meter hohen Giganten und ihren Siebentausender Kollegen, die aus einem Meer aus aufstrebenden Sechstausendern ragen, raubt mir das letzte bißchen Sauerstoff, das ich gerade noch aus der kalten Bergluft gehechelt habe. Gioia spuckt ein nach Petroleum riechendes Stück “Mars” – Schokoriegel zurück in die Verpackung und für einen kurzen Moment ärgern wir uns gemeinsam über die billige Fälschung der süßen Belohnung – Made in India, wo sonst. Mit einem Donnern geht die nächste Lawine ab und hüllt einen Bergrücken in dichten weißen Nebel. Dann herrscht Stille. Diese besondere Stille, die es nur in den Bergen gibt. Nichts und dann irgendwann eine Mischung aus dem Blut in den eignen Ohren und dem Säuseln des Windes auf dem Schnee. Wir schießen Fotos, versuchen den Moment einzufangen zwischen den höchsten Bergen der Welt, wollen diesen hart erkämpften Höhepunkt fassen, um ihn in unsere Sammlung zu packen.


Doch ohne der Berge im Hintergrund sieht es aus wie auf der Schipiste am Loser, nur mit Gebetsfahnen und mit den Bergen im Hintergrund sind wir klein wie Zwerge und verschwinden in einer bizarren Welt aus Eis und Stein. Während wir lachend in unserer neuentdeckten Bedeutungslosigkeit baden, zerrinnen uns alle Höhepunkte zwischen den Finger. Wir liegen uns im Arm und lassen diesem unendlich schönen Anblick Zeit, sich für immer in unser Gedächtnis zu brennen. Was für ein Narr ich doch bin zu glauben, dass es überhaupt so etwas wie „oben“ geben könnte. Wann bin ich zufrieden? Wann bin ich angekommen? Wann bin ich endlich da? Wie wäre es mit – jetzt?
Je ne regret rien.
Heute ist ((Prof.) Heri(-bert)Sasse) Generalintendant im Himmel und ich glücklicher denn je, denn auch ich bin endlich angekommen.
Und plötzlich ist alles ganz einfach:
Mein Leben lang bin ich der Idee eines Menschen hinterher gelaufen, der ich gerne wäre. Mal habe ich mich angepasst um zu entsprechen und mal habe ich revoltiert um zu gefallen. Ich war dick. Ich habe es genossen im Rampenlicht zu stehen, weil andere eine Kehlkopfentzündung hatten. Ich war dünn. Ich war zu bequem zu mir selbst zu stehen, weil ich selbst mir doch nur im Weg gestanden wäre. Ich habe anderen vertraut, in der Hoffnung, dass sie mich enttäuschen würden. Ich habe das Luftschloss meiner Selbst-Er-Findung auf der Unverlässlichkeit der Menschen erbaut, während ich die Keller ihrer Paläste ausgehoben habe. Ich war opportun. Ich habe mit meiner Mildtätigkeit kokettiert. Ich war aufsässig. Ich habe gelernt, was es zu lernen gab und dabei doch nur versucht soviel Freude wie möglich zu verbreiten. Ich habe getan was ich konnte um ein anderer zu werden und bin doch geblieben wer ich bin.



Entweder ich habe einen Höhenrausch oder bin gerade jetzt in die Idee des Menschen hineingewachsen, der ich immer gerne gewesen wäre. Oder vielleicht beides? Ob Heri gewusst hat, dass schon die halbe Höhe des Himalaya, den Gipfel der Wiener Kultur allen Glanz nehmen würde? Hat er deswegen meine Aufstiegschancen lieber in die Hände der anderen und ihres mangelnden Durchhaltevermögens gelegt? Wie oft habe ich selber gesagt, dass man für die Theaterwelt gemacht sein muss und mich doch niemals selbst gefragt, ob ich das überhaupt bin. Man stürmt so leidenschaftlich los in jungen Jahren ohne überhaupt zu wissen, wohin man läuft. Erst viel später wird klar, was die Wegscheide für den bedeutet, der sich für eine Richtung entschieden hat. Ich mag dich. Du magst mich. Ich mag mich. Wir mögen uns. So könnten wir ein Stück des Weges gemeinsam gehen. Wohin, fragst du mich? Gerade jetzt wo ich doch kein Ziel mehr hab? Ein Stück flanieren könnten wir, am Dach der Welt, ohne Ziel. Es gibt soviel was ich dir erzählen möchte und noch mehr, dass ich dich fragen will. Solange hab ich mich auf den Moment unserer Begegnung gefreut, so sehr auf dich hin gearbeitet ohne dich überhaupt zu kennen. Von dir hab ich gelernt, das Leben zu genießen, anstatt es nur zu leben. Warum das also nicht gemeinsam tun? Wie lange? Wer weiß das schon. Solange es uns Freude macht? Warum nicht auch für immer!? Mediziner und Höhenbergsteiger warnen davor, dass das Risiko eine transitorisch ischämische Attacke zu erleiden schon ab 4.500 Metern exorbitant ansteigt, aber so ein Höhen-Hirnschlag geht meist mit Übelkeit und Schwindel einher. Ich empfinde nur eine tiefe Befreiung und vielleicht eine kleine aber aufsteigende Euphorie. Als hätte ich eine neue Welt entdeckt. Hier bin ich also angekommen. Tausend Schmetterlinge im ganze Körper und ein Lächeln im Gesicht, liege ich immer noch in Gioias Armen.


Der Wind trägt uns ein leises Kichern zu und ich komme nicht umhin, über die Flanken des Manaslu hoch zu lächeln. Für mich geht es nicht mehr höher. Heute bin wohl ich der, der am Weg bleibt und es ist gut so. Morgen früh werden andere im Dunkeln losziehen, um sich Schritt für Schritt höher zu kämpfen. Sie werden alles dafür geben ihren Höhepunkt zu erreichen. Am Gipfel kalbt der Gletscher und verabschiedet uns mit einer letzten Lawine. Ich wünsche Ihnen Glück, den anderen, die morgen früh höher und immer höher steigen werden und ich wünsche denen die ihnen folgen noch mehr Glück, denn je höher sie kommen, desto dünner wird die Luft sein und desto dünner werden die Menschlichkeiten.
Für mich ist es Zeit abzusteigen.
Wir nehmen unsere Rucksäcke auf die Schultern und uns bei den Händen. Über einen verschneiten Steilhang geht es zurück in den Frühling. Die Sonne lässt den frischen Schnee unter unseren Füßen in einem magischen blau erstrahlen und schmelzende Eiszapfen tropfen von Felsbrocken, die den immer breiter werdenden Weg flankieren. Bald gluckst da und dort ein kleiner Bach verspielt unter dem Eis hervor. Nach dem einsamen Aufstieg geht es von jetzt an gemeinsam bergab. In ein Leben, das wir kompromisslos und in vollen Zügen geniessen werden.
… kann ich mir gut vorstellen, dass sich so die Prioritäten verschieben ….es ist einfach hin- und mitreißend, das zu lesen … freue mich auf den nächsten Beitrag…
Sooo schön, das zu lesen! Eurer „Verwandlung“ zu folgen, die mit meinem Geburtstag begann…
Ohhh Nein!!! Happy Birthday 🥳 nachträglich und danke für deine Begleitung!!
Bergwild stürmen sie hinan
Nur um zu finden
Was dort schon lange glüht
In ihres Herzens Grund
Und aufgeht im Licht des Schnees
Wild pulst das Ersehnte
Quert Tal und Brücken
Und ist doch schon da
wo das Sehnen endet
im Klang eines Lächelns
Angesichts ihrer Majestät
Rupert Avarius der Allerjüngste um Viertelnachzehn zu Hohentwiel
Oder so … eigentlich sollte ich ja bei euch sein, aber ich habe mich entschieden, mein Leben komplett auf Links zu drehen und erfinde mich gerade neu. Bitte erzählt weiter in Ton und mit Farbe von euren Leuchtspuren, Pfaden und Wegen!
Liebste Grüße Peer
Geschätzter Rubins, Lieber Peer,
links ist doch die beste Farbe für ein Leben voller Töne!
Wir hoffen, du genießt die neue Perspektive und wünschen die viel Erfindungsreichtum bei deiner Neugestaltung.
Frohe Weihnachten!
Gioia und Billy
Welch ein unvergessliches Erlebnis!