Stehend, auf der Ladefläche eines Pick Ups, der über eine Sandstraße durch ein nepalesisches Gebirgstal jagt, fühlt sich das Leben nicht nur abenteuerlich an, sondern vor allem staubig. Wir klammern uns an die Dachreling, wenn wir unter einem 20 Meter hohen Wasserfall durchfahren oder die Backboard-Räder kurz über den Abhang hinaus rutschen. Es bleibt fast keine Zeit einen letzten Blick auf die weißen Gipfel hinter uns zu werfen und Lebwohl zu sagen. Das kleine Bächlein ist dank der zahllosen Wasserfälle mittlerweile zu einem reißenden Fluß geworden, aus dessen Kraft findige chinesische Ingeneure Strom gewinnen und an die Nepalesen verkaufen. Überhaupt ist der chinesische Einfluss hier an der Grenze sehr deutlich zu spüren. Vor allem durch die zahllosen tibetischen Klöster und Auswanderer, die sich noch vor der Annexion ihrer Heimat durch den „großen Bruder“ hier niedergelassen haben.



Doch mir der Nase im sonnigen Fahrtwind bleibt kein Raum für die düsteren Machenschaften der Weltpolitik und so rauschen wir gemeinsam mit dem Wasser aus den Bergen hinunter ins Tal.
Das erste Bier seit Monaten. Verdient!
Für einen sehr kurzen Moment habe ich ein sehr schlechtes Gewissen, doch der eiskalte Hopfenblütentee reisst gebirgsflussartig alle Zweifel mitsamt der Mühsal der letzten Tage die Kehle hinab und hinterlässt nichts als ein kribbeliges Wohlgefühl in Bauch und Birne. Gemeinsam mit G. und J. stossen wir auf unsere Erlebnisse und ihren Triumph im Himalaya an. Der Vater hatte den Annapurna Trek vor 25 Jahre einmal gemacht und hatte sich und seinem Sohn das neue Abenteuer , dass Am nächsten Morgen geht es schon kurz nach sechs Uhr morgens mit einem Bus, der einen eigenen Bericht verdient hätte, weiter nach Pokhara. Von außen muss der Anblick unseres “Touristbus”, wie die Locals das nennen, an das kleine rote Auto im Zirkus erinnern – das aus dem die Clowns klettern.


Dennoch dauert die Disembarkation der (gezählten!!!) 31 Passagiere aus dem 16 Sitzer Ford Transit nicht länger als 3 Minuten. Die Gepäckstücke, die auf dem Dach vertaut mitgefahren sind, mit eingeschlossen. Unsere Rucksäcke sind wider erwarten nicht vom Dach gefallen und der Abschied von meiner Sitznachbarin, die sich 5 mal auf der Fahrt (in ein Plastiksackerl) übergeben hat, fällt auch leicht. Sie lächelt, dreht sich um und nimmt ihr Baby mit einem kleinen Hopser fester in den Arm. Die andere Hand streckt sie auffordernd ihrer fünfjährigen Tochter entgegen, die sich mit einem flüchtigen, verschämten Winken bei uns verabschiedet und dann verschwindet. Immerhin hat sie die letzten 8 Stunden auf unser beider Schoß geschlafen und damit den komfortabelsten Platz im Bus gehabt.
Pokhara
hat inklusive See und Bötchen alles, was ein guter Touristenort braucht und ist damit genau richtig für unsere Rekonvaleszenz. Duschen. Essen. Schlafen. Wiederholt in unregelmäßiger Reihenfolge und mit abnehmender Intensität. Nach zwei Wochen Dahl Bat, also Reis und Linsen, ist der Gusto auf “normales” Essen groß. In den spärlichen Pausen zwischen dem Essen und dem Nickerchen danach, erledigen wir nur eine einzige der zahllosen touristischen Aufgaben und besuchen die Friedenspagode auf einem Hügel jenseits des malerischen Sees. Das überbordende Yogastundenangebot verpasse ich, meist aufgrund der langen Wartezeiten auf heiße Schoko Brownies mit etwas Vanille Eis. Ohne Frage halte ich aber meine höchst eigene Yoga – Morgenroutine strikt ein. Immerhin bin ich mir selbst ja auch der liebste Yogalehrer. Nachdem eine dichte Wolkendecke zwei Anläufe unseres unchristlich-frühmorgendlichen zweiten Touristenausflugs “Mit der Seilbahn zum Sonnenaufgang” verunmöglicht, bleibt die Aussichtsplattform, von der aus man den Fishtail – einen wirklich beeindruckenden Siebentausender – im glühenden Rot der aufgehenden Sonne sehen kann, unbesucht. So fresse ich mich also jenseits aller Attraktionen durch die (Nachspeis`-)Karten der israelischen, italienischen und ja, sogar der indischen Restaurants in Pokhara und steige satt und glücklich am Morgen des dritten Tages in einen angeblich “normalen” Touristenbus nach
Lumbini
ist nichts weniger als der Geburtsort eines gewissen Prinzen Siddhartha, der später mit dem Beinamen Gautama, der Erleuchtete, Karriere im Bildungssektor machen sollte. Kaum geboren, so erzählt die Legende, machte der Knirps sieben Schritte nach Norden, streckte den einen Zeigefinger gen Himmel, den anderen zur Erde und verkündete, dass er sich vom mühseligen Zwang der Wiedergeburt befreit habe. Dann legte er sich selbst an der Mutter Brust und verhielt sich unauffällig, zumindest bis zur Pubertät. Der Rest ist in aller Welt bekannt und deswegen gibt es an diesem besonderen Ort seiner Geburt auch ein imposantes Areal mit 14 verschiedenen buddhistischen Tempeln und Klöstern aus aller Welt, die die Vielfalt des Buddhismus wiederspiegeln. Ja, es gibt sogar einen europäisch-österreichischen Tempel.


Wir stolpern also nach 6 Stunden Fahrt aus dem vergleichsweise angenehmen Touristenbus, in dem tatsächlich jeder Sitz auch nur einen Fahrgast abbekommen hat und finden uns in der Hölle wieder.
Eine Welle schwül-heißer Luft schlägt mir entgegen, geschwängert von gebratenem Fleisch, dem Blumenstand neben mir, Straßenhunden, dem süßlichen Geruch einer verwesenden Ratte und ungefähr einer Million anderer Gerüche. Eine Horde nicht registrierter Taxifahrer fällt im selben Moment schreiend und mit Wucherpreisen um sich schleudernd, über uns her, wie ich es nur einmal im Leben (knapp üb)erlebt habe, und noch während ich versuche, weder den Tigerbalsam noch die kleine Plastikgeige, die mir ein vermeintlich alter, blinder, einbeiniger Mann, der sich unter die Taximeute gemischt hat, unter die Nase hält, nicht zu kaufen, wird mir mit Schrecken klar, dass Lumbini direkt an der indischen Grenze liegt. Ich packe also die Rucksäcke und das Mädchen, das die Ukulele umklammert und wir stürzen los. 200 Meter bis zum Parkeingang. Ein Tuk Tuk schießt unter lautem Hupen haarscharf an uns vorbei, die Straßenhunde jaulen, eine Affenbande rüttelt kreischend an den Zweigen und wir retten uns über ein stinkendes Rinnsal hinweg auf die andere Straßenseite. Noch 150 Meter, wir laufen weiter, das Mädchen an der Hand, das die Ukulele fest umklammert. Wir drehen uns nicht um – noch 50 Meter. Vorbei an einem Straßenverkäufer, der gelangweilt in einem Haufen brennenden Mülls stochert und endlich durch das Tor.
Die Friedenspagode
Die Vögel zwitschern und die Blüten duften. Wir spazieren den sauber gepflasterten Weg entlang und genießen jeden der dreitausend Schritte bis zur Friedenspagode. Nachdem wir uns mit jedem Schritt wieder ein Stück weiter von der indischen Grenze entfernen, kann ich den Ärger über den Busfahrer, der uns einfach auf der falschen Seite des Kilometer langen Areals abgesetzt hat vorübergehend unterdrücken und auf dem beeindruckenden Spaziergang durch den UNESCO Weltkulturerbe Park verraucht er zusehens.
Die ersten Pagoden, die als Symbol und als Kraftorte für den Weltfrieden stehen, wurden nach dem zweiten Weltkrieg in Hiroshima und Nagasaki gebaut. Träger der Idee ist bis heute der japanische Nippozan Orden, der weltweit Friedenspagoden errichtet. Wir haben S. während unserer Yoga-Ausbildung kennengelernt, weil er gerade in den Hügeln von Chandragiri die Kathamndu Peace Pagoda baut. Er war es auch, der uns zur Vollmondfeier hier in Lumbini eingeladen hat, die im November 2022 nicht nur wegen der Eclipse sondern auch wegen des Geburtstages der Pagode selbst ein Highlight ist.
Klosterleben
Unser erster Tag beginnt um 04:30 Uhr mit einer Morgenmeditation, die ganz nach meinem Geschmack ist. Wir sitzen zusammen im Tempel um schlagen kleine, mittlere, große und gigantische Trommeln im Takt eines Mantras, das in zwei Gruppen immer und immer wieder wiederholt wird. Namu-Myoho-Renge-Kyo. Das ist alles. Namu-Myoho-Renge-Kyo. Jeder hat seine eigene Trommeln und Schlögel bekommen, um mit voller Kraft mitzumachen. Namu-Myoho-Renge-Kyo. Dazu ein Buch auf japanisch – aber in unserer Schrift. Namu-Myoho-Renge-Kyo. Das Lotus Sutra, das die Grundlage des japanischen Nichiren Buddhismus ist. Namu-Myoho-Renge-Kyo. Wir fabrizieren einen höllischen Lärm, der ungemein dabei hilft, das Hirn auszuschalten und ganz in der Meditation zu versinken. Dann stehen plötzlich alle auf und marschieren los. Namu-Myoho-Renge-Kyo. In die Dunkelheit hinaus. Es ist 04:30 Uhr. Wir trommeln und wir singen. Namu-Myoho-Renge-Kyo. Für den Weltfrieden. Namu-Myoho-Renge-Kyo. Wir marschieren im Licht eines blutroten Vollmonds, singend und trommelnd über das gesamte Areal zum Maya Devie Tempel. Es ist 06:00 Uhr. Es dämmert. Wir meditieren – diesmal im Stillen – vor exakt dem Stein, an dem sich Maya niedergelassen hat, um ihr Kind zur Welt zu bringen. Es kommen immer mehr Mönche und Innen, die im Buddhismus Bhikkhuni genannt werden. Schließlich sitzen wir in einer bunten Vielfalt aller Ordensgewänder der Welt vor dem Mittelpunkt des Buddhismus und meditieren und chanten.


Auf Thai, Singhalesisch, Englisch und unzähligen anderen Sprachen, schließlich auch auf japanisch. Namu-Myoho-Renge-Kyo und dazu schlagen wir unsere Trommeln. Als die Sonne schon fast am Zenith steht machen wir uns auf den Weg zurück. Namu-Myoho-Renge-Kyo. Natürlich mit trommeln und singen. Nach dem Mittagessen (Dal Bhat) stehen Vorbereitungen für das morgige Fest auf dem Programm. Alle zusammen waschen und trocknen Geschirr für 500 Menschen.
Um 16:30 Uhr rufen uns die Trommeln zur Abendmeditation in den Tempel, Namu-Myoho-Renge-Kyo, die mit einer dreifachen Umkreisung der Stupa endet und vom heiß ersehnten Abendessen gekrönt wird. Der Tag dauert mittlerweile fast vierzehn Stunden und es gab praktisch keine Pause. Wir räumen die Teller ab und wischen den Tisch und gerade als sich eine bleierne Müdigkeit gepaart mit einer tiefempfunden Dankbarkeit für das erlebte in mir breit macht, donnern die Trommeln aus dem Tempel herüber.
Voll Mond Zeremonie
Wir ziehen im Kerzenschein hinaus aus dem Tempel und hinüber zur Pagode über der ein glühend roter Vollmond steht. Namu-Myoho-Renge-Kyo. Gerade in diesem Moment schiebt sich der Schatten der Erde vor die Mondscheibe und lässt ihre Krater und Berge in einer nie da gewesenen Plastizität erstrahlen. 20 Kerzen werden zu den Füßen des Buddha abgestellt, für jeden eine. Wir sitzen im Kreis auf dem Treppenabsatz, über uns die Pagode im Mondschein und das himmlische Schauspiel der Planeten.


Namu-Myoho-Renge-Kyo.
Es ist ein unvergesslicher Moment, der einem einfach die Sprache nimmt.
Namu-Myoho-Renge-Kyo.
Ich bin glücklich.
Happy Birthday Peace Pagode
04:30 Uhr. Der Wecker schläft noch, die Trommeln nicht. Nach der Morgenmeditation Frühstück, dann gehts an die letzten Vorbereitungen für das große Fest. Gestern Abend haben die Bhikkhuni, des thailändischen Tempels (genau, das sind die Mönchinnen) noch Kurzfristig zugesagt. Ein Zelt wird aufgebaut, eine Bühne errichtet auf der Opfergaben dargebracht werden. Nein, keine JungschauspielerInnen sondern Berge von Früchten, Gemüse, Räucherstäbchen und neben Süßigkeiten auch eine Coca Cola und eine Sprite Flasche. 1,5 Liter. Immerhin. Mein Highlight: Ich werde über eine Leiter an der Außenseite der 20 Meter hohen Stupa hoch auf die Spitze klettern, um von dort Riesenkonfetti auf die Festprozession runter regnen zu lassen. Damit habe ich den Platz mit der besten Sicht, einziger Nachteil ist, dass wir uns schon vor dem Beginn der Feierlichkeiten oben auf der Spitze verstecken müssen und damit fällt der Einzug mit Trommeln und Mantra für mich aus. Meine Vorfreude auf den Konfettiregen ist groß und hilft nur bedingt dabei, die zahllosen Begrüßungen und Ansprachen (auf nepalesisch) schneller vorbeigehen zu lassen. Der Abt des Klosters, unser Freund S., der uns nach Lumbini eingeladen hat, hält seine Festrede auf japanisch, danach wird sie aber auch in englischer und nepalesischer Sprache verlesen. S. war als Teenager ein Punk in Tokyo, der bewusst jenseits des japanischen Hyperkapitalismus der 70 Jahre leben wollte. Er liebt die Natur und die Stille, die es nur dort zu finden gibt. Eines Tages ist er einem Nippozan Mönch names Yonataka Navatame begegnet, der ihn 3 Jahre mit nach Afrika und schließlich auch hier her zum Bau der Friedenspagode genommen hat.
Der Bau der Friedenspagode war der Grundstein für alle weiteren Tempel hier auf dem Areal in Lumbini und damit eines der bedeutendsten Vorhaben des Nippozan Ordens überhaupt. Eines Tages erzählte Yonataka Navatame unserem Freund S. sogar, dass er überzeugt wäre, dass dieses Projekt seine Lebensaufgabe sei. Die beiden haben die Pagode gemeinsam mit etwa 20 anderen Nippozan Mönchen gebaut. Stein für Stein, mit eignen Händen und ohne Maschinen, bis am 3. Juli 1997 Yonataka Navatame von maskierten Eindringlingen erschossen wurde. Die Hintergründe sind bis heute unklar, doch dieses schreckliche Verbrechen hat eine Protestwelle in Nepal und der gesamten buddhistischen Welt ausgelöst. Es war S., der seinen Mentor und Freund neben der Pagode zu Grabe getragen hat und dessen Lebensaufgabe übernommen hat. Die Friedenspagode wurde 4 Jahre später, im November 2001, feierlich eröffnet und heute feiern wir ihren 21 Geburtstag. Konfetti Marsch!



… wie immer, ein tief beeindruckender Einblick in andere Kulturen … toll, fesselnd und faszinierend geschrieben …. 👍👍👍
Schade, dass das viele Trommeln keinen Frieden gebracht hat – also bitte weiter trommeln!!!!!
Wir trommeln!!! Wir trommeln!!