Schlürfen, Sabbern, Saugen und Schmatzen sind Atmosphärengeräusche, die ich in einem der besten Hauptstadt-Lokale Vietnams nicht erwartet hätte. Doch andere Länder, andere Sitten und so hängt auch mir ein dicker Ballen Reisnudeln zwischen den Lippen. Den Kopf tief über die Pho-Schüssel gebeugt muss ich an meinen Grossvater denken, der mich um der guten Tischmanier Willen in Kindertagen gerne noch mit Büchern unter den Armen hätte essen lassen wollen. Der Rest des Ballen, der keinen Platz im Mund mehr findet, fällt mit einem lauten Platschen zurück in die Brühe. Auch das ist keine Besonderheit unter den feinen Leuten Haut Volais Hanois. Das vietnamesische Nationalgericht mit dem klingenden Namen wird drei mal am Tag serviert und erfreut sich trotz des inflationären Angebots größter Beliebtheit. Man stelle sich bitte den Niedergang der Wiener Laune vor, wenn im Cafe Landtmann statt Eiern im Glas und Buttersemmerl den ganzen Tag nur Tafelspitz gereicht würde. Ein Trauerspiel. So stochere ich seit etwa 20 Minuten eher unbeholfen mit meinen zwei Stäbchen in einer gigantischen Suppenschüssel umher und fühle mich wie im Prater beim Preisfischen. Am leichtesten lassen sich Trostpreise wie Brokkoli oder Korianderzweige fangen, gefolgt von Karottenscheiben und für Fortgeschrittene auch manch eine Bambussprosse. Die dicken, schweren und sehr, sehr glitschigen Nudeln sind der Kohlehydrat Jackpot in meiner Frühstücksschüssel aber demnach auch ein Fall für Profis. Um meine gänzliche Frustration am morgen abzuwenden, bringt mir die aufmerksame Kellnerin einen großen Löffel, mit dem die Nudeln zwar auch nicht besser zu bändigen sind, man aber zumindest den Wasserstand regulieren kann. Und just mit diesem Löffel kommt es auch zur Verbrüderung der vietnamesichen und der wiener Frühstücksküche. Denn nicht nur, dass der kleine perlmutterne Bruder des großen Pho-Löffels bei keinem weichen Ei fehlen darf, nein auch der typisch wienerische Anruf des Löffels beim Pho essen beinhaltet die gänzlich korrekte Aussprache der vietnamesischen Spezialität selbst:
“Bfauo!!! ich werd deppat mit die Nudeln!! Gebt’s ma bitte an Löffel!” Man beachte nun die, um die in Wien obligatorischen Kraftausdrücke, Elisionen oder Apokopen befreite und auf den Ausruf zu Beginn fokusierte Version auf Vietnamesisch: “Pho! Gebt mir bitte einen Löffel!”



Zwei drei große Löffel würziger Gemüsesuppe später, blitzen die glitzernden Rücken der ersten Nudeln zwischen Salatblättern und einer Vielzahl an völlig unbekannten Pilzen hervor, doch meine Stäbchen greifen einmal mehr vergebens in die trübe Leere der Suppenschüssel. Die listigen Nudeln sind unter meinem Griff hinweggetaucht und die eine, etwas langsamere, kann sich dank ihres glitschiges Übergewichts im letzten Moment noch aus dem Griff meiner Stäbchen befreien und fällt mit einem lauten Platschen spritzend zurück in die Schüssel, während die Zähne ins Leere beissen. Ich lege die Waffen nieder und tupfe vornehm mit der Serviette die zahllosen Flecken auf meiner Brust. Dann greife ich mir resignieren eine der Sommerrollen, tunke sie in die Erdnusssauce und beiße herzhaft in die Reispapierrolle gefüllt mit frischen Kräutern und Gemüse.
Das vietnamesische Essen
ist vielleicht einer der Hauptründe, warum wir uns so sehr auf die Zeit hier gefreut haben. Passender Weise verbringen wir die ersten Tage in Hnaoi mit unserem Kollegen und Freund B., der für sein aufregendes Projekt “The global Cookbook” gerade Station in Hanoi macht und in einer kinoreifen Dokureihe über die Lebens- und Küchengeschichten der Einheimischen berichtet. Zu Hause bestimmt zwei Mal die Woche auf dem Menüplan, können wir es kaum erwarten, Pho, Nem Cuon, Bun Cha, Bun Thit Nuong und all die anderen Gerichte in der freien Wildbahn kennen zu lernen. Doch genau da kommt auch schon der Haken, denn selbst vegetarische Gerichte der vietnamesischen Hausmannskost enthalten Gewürze auf tierischer Basis wie Fisch- oder Austernsoßen.


Die “echten” Pho, als schlimmstes Beispiel, lässt sich ähnlich der Wiener Rindssuppe ohne Suppenfleisch und Markknochen gar nicht zubereiten. Doch, Gott sei Dank, hat die gnadenlose Verbreitung des Vegetarismus auch vor Süd-Ost Asien keinen Halt gemacht und so sprießen vegetarische Lokale wie die Schwammerl, die darin verkocht werden, aus dem Boden. Einige davon sogar in ganz hervorragender Qualität und wenn wir nicht durch die hektischen Straßen Hanois flanieren, verbringen wir unsere Zeit meist dort. Tatsächlich machen sich nach fünf Monaten Reise die ersten Ermüdungserscheinungen in Form einer unbezwingbaren Gravitation von Cafés, guten Restaurants und weichen Betten an einem Ort(!) bemerkbar. Doch wer rastet, der rostet und so kaufen wir uns Fliegerbrillen, mieten ein “Motorrad” und machen uns auf den Weg in die weltberühmte HaLongBay.
Die brennende Stadt
Nicht am Weg und doch auf unserer Route liegt das kleine Dorf QuangPhuCau, unter Instgrammern besser bekannt als Incense City.
In einem Meer aus buntgefärbten Bambusstäben hocken die Arbeiterinnen mit den typisch vietnamesischen Bambushüten auf dem Kopf. Wir genießen noch ein ausgiebiges Frühstück und verpassen so die Welle der Touristenbusse, die morgens aus Hanoi angekarrt wird um das ewig gleiche Foto einer weiß gekleideten Person zwischen den roten, gelben oder grünen Bünden zu schießen. Zum Glück. Kurz nach der Mittagspause, gerade als die Arbeiterinnen begonnen haben die in der gleißenden Sonne getrockneten Rohlinge zu verpacken erreichen wir den Hof, der eher an eine fantastische Wiese auf einem fernen Planeten erinnert. Während wir gebannt von den roten Büscheln von unserem Scooter klettern, lässt unsere Ankunft, den Verladeprozess am Hof ins Stocken geraten – offenbar sind zwei aus Europa auf einem vollgeladenen Scooter ein Hingucker unter Vietnamesen. So schießt man gegenseitig Fotos von- und miteinander und verdreckt sich die Klamotten, die entgegen der allgemeinen Instagramm Mode nicht vollends weiß ausgefallen ist. Dann ist der Zauber der ausserirdischen Wiese auch schon wieder vorbei, denn die Geschwindigkeit mit der die Bünde verschnürt werden, erinnert daran, dass die Farbenpracht am Hof keine Fotokulisse sondern harte und täglich Arbeit ist. So lasse ich Gioia ihre letzten Porträts schießen und nehme einen Schluck Wasser am Scooter.



Eine alte Frau schenkt mir ein freundliches Lächeln über die Gasse und ein paar Kinder mustern mich lachend von der nächsten Ecke. Die Offenheit und Freundlichkeit der Menschen hier ist einzigartig und lässt mir immer wieder das Herz aufgehen. Zwei winkende Mädchen rufen mir schon von Weitem ein herzliches “Hi!” zu, das sich in ein “Bye!” verwandelt als sich auf ihrem E-Roller an mir vorbei rauschen. Ich lache und winke und rufe nicht weniger herzlich ein “Hi!” und ein “Bye” zum Abschied. Breit grinsend verwandelt dich das Winken der Beifahrerin in einen unbeholfen aber umso stolzer empor gereckten Stinkefinger, sobald der Scooter in ausreichend Sicherheitsabstand ist. Die Fassungslosigkeit über eine derartige Geste ins Gesicht geschrieben, scheine ich das optimale Opfer für die beiden zu sein, denn sie verschwinden laut Kreischend vor Freude um die nächste Ecke. Tatsächlich habe ich gerade ein Gespenst gesehen, sage ich Gioia die im nächsten Moment aus dem Hof hinaus auf die Straße tritt. Ungläubig belustigt tut sie den diplomatischen Eklat, der sich gerade abgespielt habt als Lausmädchen Streich ab und lässt mich gleich wieder allein um eine vergessene Kappe zu holen. Mein Leben verfällt zum Comic denke ich, als just in diesem Moment der Wind das Surren eines E-Scooters an mein Ohr trägt. Ich schenke weder dem Geräusch noch den diabolischen Reiterinnen der Apokalypse, die darauf angestürmt kommen mögen, meine Aufmerksamkeit, sondern starre gebannt auf meine Wasserflasche. Das Surren kommt immer näher und schon jagt mir ein kalter Schauer der Gewissheit über den Rücken, als mich eine Mädchenhand gemeinsam mit einem herzhaften “Hi!” rüde an der Schulter Rempelt. Im Aufblicken höre ich das “Bye!” und reagiere unmittelbar, unerbittlich und brutal. Noch bevor mein Blick sich gehoben hat ist meine Rechte bereits den Übeltäterinnen entgegengestreckt und voll genussvoller Genugtuung bin ich es diesmal, der breit über seinen Stinkefinger hinweg triumphierend grinsen kann. Doch wider Erwarten lässt meine Revanche die beiden nicht erblassen, sondern noch viel fröhlicher lachen und nun streckt sogar die Fahrerin ihren Stinkefinger, wie zum Gruß, empor. So winken wir uns mit allen zur Verfügung stehenden Mittelfingern zu und brüllen laut “Bye!”. Es ist ein wunderbares Land.
Die schwimmende Stadt
Etwa einhundertsiebzig Kilometer von Hanoi entfernt geht es über eine zwölf Kilometer lange Brücke, die das Festland bei HaiPhong mit der Insel CatBa verbindet. Von dort nimmt man ein Taxiboot und lässt sich hinaus in die Bucht oder besser hinein ins Abenteuer kutschieren. Drei deutsche Schäferhunde, vom Tuckern des Schiffsmotors aus dem Mittagsschlaf gerissen, tänzeln routiniert un fmit gespitzten Ohren die Planken des Muschelzuchtgatters entlang und begrüßen uns mit lautem Bellen. Fischerfamilien haben sich hier vor langer Zeit angesiedelt und leben seit dem auf oft auch nur behelfsmäßigen Flössen und Booten. Neben zahllosen Hütten mit Hängematten und Sonnenschirmen gibt es Restaurants, Einkaufsläden und sogar Clubs mit Live Musik und Dancefloor.



Zwischen den Häuserfronten, die da und dort zu unregelmäßigen Straßenzügen angewachsen sind, knattern zahllose andere Fischerboote dahin, während sich auf den Boulvards der schwimmenden Stadt kleine quietsch-gelbe Touristenkajaks zwischen großen Cruisern drängeln. Flankiert von zwei dieser Cruiser legt unser Taxiboot an einer der großen Restaurantplattformen an und entlässt das Pärchen, dass wir am Hafen kennengelernt haben, unter überlauter vietnamesischer Schlagermusik in eine grellorangefarbene Menge von lachenden, tanzenden und trinkenden Touristen in Schwimmwesten. Wir tuckern dank Gioias Talent die schönsten Plätze der Welt zu finden weiter, bis zuerst die kreischende Stimme der Sängerin und schließlich auch ihre Bässe hinter einem der pittoresken Felsen verklungen sind und gehen in der LangHa Bucht an Land. Oder besser an Floss.
Sich einfach mal so treiben lassen
Die Phrase bekommt auf einem Hausboot eine ganz neue Dimension. Ein einfacher Bretterboden, der so grob zusammengezimmert wurde, dass zwischen den Dielen der Blick auf die alten Fässer und Styroporblöcke darunter frei bleibt, die das ganze Haus über Wasser halten. Die Abwasch in der Küche ist ein metriges Loch im Boden unter dem sich eine Schar hoffnungsfroher Fischlein tummelt, die auf die nächsten Restln wartet. Sonst gibt es noch ein paar Hängematten in der Chillarea und zwei Toilettekabinen, deren Dielen so morsch sind, dass die Klositze wackeln beim hinsetzen.


Dafür kann man durch die fingerdicken Spalten im Boden ganze Schwärme bunter Fisch beobachten, die das floating House passieren. Die Besatzung des Hausbootes besteht aus einem Koch, einer Tiefkühltruhe voller Bier und 10 Gästen die allesamt diese Oase der klaustrophoben Einsamkeit auf AirBnb gefunden haben. Es ist wundervoll. Gioia gibt Yoga Stunden im Morgengrauen, wir paddeln vormittags mit quietschgelben Kajaks in versteckten Lagunen umher und beobachten die Muschelfischer dabei, wie sie mit einem Kompressor am Boot und einem Gartenschlauch mit Pressluft im Mund, drei Meter tief unter Wasser und einem Rucksack voller Steine auf dem Rücken über den Meeresgrund stapfen und Muscheln sammeln und lassen wir uns beim Planktonschwimmen verzaubern. Tatsächlich leuchten die kleinen Einzeller im Wasser, um Störenfriede und Fressfeinde zu verscheuchen.

Ein Konzept, das vielleicht in der Tierwelt funktionieren mag, in der Menschenwelt aber eher kontraproduktiv wirkt. So hallt die Bucht von erstaunten “Ohs” und “Ahs” wieder, während blau schimmernde Körperschemen geisterhaft durchs Wasser plantschen. Das Licht entsteht durch Bioluminiszenz, eine einfache chemische Reaktion wenn in den Einzellern, Sauerstoff, Luciferin und Luciferase (ein Enzym) zusammenkommen. Wir schwimmen also nachts noch mit den Glühwürmchen der Meere, bevor es am nächsten Morgen zurück auf festen Boden und dann aufs Motorrad geht.
Es regnet in Vietnam
und deswegen nehmen wir den Bus von CatBa nach NinhBinh. Ja, mit dem Moped. Wir fahren mit dem Moped im Bus und mit dem Bus auf der Fähre. Das ist die größtmögliche Kombination von motorisierten Personenkraftfahrzeugen, die man gleichzeitig Verwenden kann. Aber das und unser Roadtrip durch Vietnam ist eine andere Geschichte.



WOW! Wie toll sind eigentlich die Bilder zu deiner Geschichte? Fühlt sich an als wäre man dabei. Freue mich jetzt schon auf die weiteren Erzählungen 😍
Ich freue mich schon auf den „Road-trip“!
… spannend….voll von tollen Erlebnissen … und die sind sicher nur ein kleiner Teil…. freue mich schon auf die nächsten Abenteuer….👍👍👍